6. Juni 2025
Fall bei "XY gelöst" : Der Tunnel-Coup von Berlin-Zehlendorf: Als Bankräuber das SEK narrten
1995 überfallen vier Männer eine Bank in Berlin. Als die Polizei die Filiale stürmt, sind die Räuber weg – geflohen durch einen Tunnel. Der Fall ist nun Thema bei "XY gelöst"

1995 überfallen vier Männer eine Bank in Berlin. Als die Polizei die Filiale stürmt, sind die Räuber weg – geflohen durch einen Tunnel. Der Fall ist nun Thema bei „XY gelöst“

Der 27. Juni 1995 ist ein Dienstag. Im Berliner Stadtteil Zehlendorf fährt gegen 10.15 Uhr ein weißer Lieferwagen vor. Vier maskierte Männer springen aus dem Wagen und stürmen in die nahegelegene Commerzbank an der Breisgauer Straße. Sie befehlen den sechs Bankangestellten und den zehn anwesenden Kunden, sich auf den Boden zu legen. Sie fesseln ihre Daumen auf den Rücken, dem stellvertretenden Filialleiter legen sie Handschellen an. 

Nur 30 Minuten später umstellt die durch einen in der Bank ausgelösten Alarm informierte Polizei das Gebäude. Sie sperrt das Villenviertel weitläufig ab, Geschäfte müssen schließen. SEK-Einsatzkräfte positionieren sich vor der Bank.

Die Räuber schicken eine Kundin mit einem Brief nach draußen zu den Beamten. Darin fordern sie innerhalb von sechs Stunden einen vollgetankten Transporter, einen Hubschrauber samt Pilot und 17,2 Millionen D-Mark Lösegeld. Damit der Fluchtwagen vor der Bank halten kann, entfernt die Polizei sogar ein Geländer. Medienvertreter und Schaulustige verfolgen das Spektakel.

Am Abend stellt die Polizei dann zunächst fünf Millionen D-Mark in Plastiksäcken vor die Eingangstür der Bank. Es ist kurz vor 20.30 Uhr, als der stellvertretende Filialleiter diese in das Gebäude zerrt. Schließlich verlängern die Bankräuber das Ultimatum bis 2 Uhr nachts.

Täter gruben ein Jahr lang unterirdischen Tunnel

Was die Beamten nicht wissen: Die Täter halten sie mit ihren Forderungen und dem Ultimatum zum Narren, wollen damit nur Zeit gewinnen. Denn der Plan ist ein anderer: Bereits rund ein Jahr vor dem Überfall haben sie damit begonnen, einen Tunnel zu graben, der sie in die Freiheit bringen soll. Durch den gelangen nun auch weitere Komplizen in die Bank und machen sich im Keller an den Schließfächern zu schaffen. Um schließlich unerkannt zu entkommen, ziehen sie den Geiseln Jutebeutel über den Kopf. 

In der Polizeihistorischen Sammlung in Berlin-Tempelhof wurde ein Teil des Tunnels nachgebaut
© Siewert Falko

In einer TV-Doku erinnert sich ein Bankangestellter: „Ich bin irgendwann eingeschlafen“. Nach einiger Zeit habe jemand etwas zu trinken verlangt und musste auf die Toilette. „Mehrere haben dann gerufen, aber keiner hat mehr reagiert“, sagt er. „Es war so still, dass wir alle dachten: Was ist nun los?“, so eine Kundin. Irgendwann kann sich der stellvertretende Filialleiter befreien und ans Telefon gehen. Er erklärt der Polizei, die in der Zwischenzeit schon mehrfach in der Filiale angerufen hat, dass sie die Geiselnehmer seit rund einer Stunde nicht mehr gehört und nicht mehr gesehen hätten. Um 3.45 Uhr stürmt das SEK die Bank und befreit – rund 18 Stunden nach Beginn des Überfalls – die erschöpften Geiseln. Die Täter sind da schon längst über alle Berge – und die Beamten höchst irritiert. Sofort wird eine Fahndung nach ihnen eingeleitet. 

In der Bank findet die Polizei ihre fein gesäuberten Schusswaffen. 207 Schließfächer haben die Räuber aufgebrochen. Im Kellerboden klafft ein mannsdickes Loch. „Da ist mir dann erst klar geworden, dass die uns die Geiselnahme und den Banküberfall eigentlich nur vorgespielt haben“, so der ehemalige SEK-Einsatzleiter Martin Textor. „Der Plan war eigentlich, die Polizei, mit einer vermeintlichen Geiselnahme und einem Fluchtplan gedanklich und mit ihren Kräften zu binden, um unten in Ruhe die wohl gefüllten Schließfächer der betuchten Zehlendorfer Kunden der Commerzbank in Ruhe ausräumen zu können.“

Die Täter entkommen durch eine Kombination aus selbstgebuddelten unterirdischen Tunnelstücken und einen rund 100 Meter langen Abwasserkanal. Die Beute lag laut Polizei bei wenigstens 9,6 Millionen Mark, von denen 4,3 Millionen Mark bis heute spurlos verschwunden sind. Die Staatsanwaltschaft ging intern sogar von einer Beute von 16 Millionen Mark aus.

Banküberfall Thema bei „Aktenzeichen XY … gelöst“

Eine Sonderkommission namens „Coba“ (für Commerzbank) aus 61 Beamten ermittelt mit Hochdruck, zumal die Polizei von der Presse wegen des spektakulären Coups verhöhnt wird. Doch dank sorgfältiger Ermittlungen und über den Mieter einer in der Nähe gelegenen Garage, in der der Tunnel endet, kann die Polizei schließlich alle Tatverdächtigen ermitteln. Im Juli 1996 werden fünf von ihnen zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und 13 Jahren verurteilt. Ein weiterer Täter wird in einem abgetrennten Verfahren in Berlin zu zweieinhalb Jahren, ein siebter in einem Verfahren im Libanon zu drei Jahren Haft verurteilt. Insgesamt ging die Polizei von elf Tätern aus.

Der Fall ist ab Mittwoch (4. Juni) Thema in der True-Crime-Reihe „XY gelöst“ im Streamingportal des ZDF und wird am 11. Juni um 21 Uhr auch im linearen TV ausgestrahlt.

Quellen:„XY gelöst“,TV-Doku Der Coup von Zehlendorf, Deutschlandfunk