
Hat US-Rapper Sean „Diddy“ Combs seine Macht skrupellos ausgenutzt, um Frauen sexuell gefügig zu machen, oder geht es seinen mutmaßlichen Opfern nur um hohe Entschädigungszahlungen? Zum Abschluss des New Yorker Prozesses gegen den früheren Rap-Mogul haben Verteidigung und Anklage völlig gegensätzliche Plädoyers vor den Geschworenen gehalten. Nach dem zweimonatigen Prozess mit Dutzenden Zeugenaussagen droht dem 55-jährigen Musiker bei einer Verurteilung lebenslange Haft.
„Hier geht es nicht um Gerechtigkeit. Hier geht es nicht um ein Verbrechen. Hier geht es um Geld“, sagte Combs‚ Verteidiger Marc Agnifilo am Freitag in seinem fast vierstündigen Schlussplädoyer vor den Geschworenen. Die Beziehungen zwischen dem „erfolgreichen schwarzen Selfmade-Unternehmer“ Combs und seinen Freundinnen seien zwar „kompliziert“ gewesen. Es habe sich aber dennoch um „Liebesgeschichten“ und nicht um durch ein „Klima der Angst“ gekennzeichnete Zwangsbeziehungen gehandelt.
Die Staatsanwaltschaft wirft Combs vor, Frauen und Männer sexuell missbraucht und mit Drohungen und Gewalt zur Teilnahme an Drogen- und Sex-Partys genötigt zu haben. Als Hauptzeugin sagte in dem Prozess Combs‘ Ex-Freundin Casandra „Cassie“ Ventura aus.
Die Sängerin hatte den bekannten Musiker und Produzenten bereits 2023 wegen jahrelanger Misshandlungen und Vergewaltigung verklagt. Beide einigten sich kurz darauf auf einen außergerichtlichen Vergleich. Ventura bekam 20 Millionen Dollar (17 Millionen Euro).
„Wenn man einen Gewinner in dieser ganzen Geschichte sucht, dann ist es wohl Cassie“, sagte Agnifilo dazu. Staatsanwältin Maurene Comey kritisierte diese Anmerkung in ihrer Entgegnung als Beleidigung der Zeugin. „Was hat sie dafür bekomme?“, entgegnete die Anklägerin. „Blaue Augen? Eine Platzwunde am Kopf? Tagelanger Sex mit einem Harnwegsinfekt?“
Combs habe sich „unantastbar“ gefühlt, sagte Comey. Dem hätten die Aussagen seiner Opfer vor Gericht ein Ende gesetzt. „Der Angeklagte ist kein Gott“, betonte die Staatsanwältin.
Ihre Kollegin Christy Slavik hatte am Donnerstag in ihrem knapp fünfstündigen Schlussplädoyer gesagt, Combs habe „Macht, Gewalt und Angst genutzt, um zu bekommen, was er wollte“. Er habe auf das Schweigen und die Scham seiner Opfer gesetzt, um seine Verbrechen zu vertuschen.
Combs habe sich zudem auf ein Netzwerk loyaler Helfer verlassen, sagte Staatsanwältin Slavik weiter. Dadurch habe er sich eine Art „Königreich“ geschaffen, in dem seine Opfer nicht mehr frei hätten entscheiden können.
Agnifilo versuchte am Freitag, die Darstellung der Anklage zu zerpflücken. Ventura und eine andere Ex-Freundin des Rappers, die in dem Prozess unter dem Pseudonym Jane ausgesagt hatte, hätten als Erwachsene ihre eigenen Entscheidungen getroffen. Ein Überwachungsvideo aus einem Hotel, das einen gewaltsamen Angriff auf Ventura im Jahr 2016 zeigt und im Prozess als Beweismittel gezeigt wurde, sei zwar „schrecklich“ und zeige eindeutig „häusliche Gewalt“; um Zwangsprostitution handele es sich aber nicht.
Der Verteidiger wies außerdem die Darstellung zurück, Combs habe mit Hilfe einer Reihe von Mitarbeitern, darunter sein Personalchef und einige Leibwächter, Sexualverbrechen verübt. Keiner von ihnen sei als Komplize benannt oder zumindest als Zeuge befragt worden, hob Agnifilo hervor.
Nach den Schlussplädoyers wird Richter Arun Subramanian am Montag die Geschworenen belehren, bevor sie sich zu Beratungen über das Urteil zurückziehen. In dem Prozess hatten 34 Zeuginnen und Zeugen ausgesagt. Außerdem wurde den Geschworenen umfangreiches Beweismaterial wie Aufzeichnungen von Telefonaten präsentiert. Combs, der auf nicht schuldig plädiert, sagte in dem Prozess nicht aus.
Bei einem Schuldspruch könnte Combs‘ Strafe bis hin zu lebenslanger Haft reichen. Doch auch bei einem Freispruch droht ihm weitere Strafverfolgung. Diese Woche reichten drei weitere mutmaßliche Opfer des Rappers Klage ein. Eine Frau behauptet, Combs‘ Sohn Justin habe sie aus Louisiana nach Los Angeles gelockt. Dort sei sie 2017 gefangen gehalten und unter Drogen gesetzt und dann von drei maskierten Männern vergewaltigt worden, darunter angeblich Combs.
Außerdem werfen zwei Männer dem Rapper und seinen Mitarbeitern vor, sie bei Partys unter Drogen gesetzt und sexuell angegriffen zu haben. Die Taten sollen sich demnach 2021 und 2023 ereignet haben.