3. Juli 2025
Freundschaft endet tödlich: Kochtopf als tödliche Waffe - lange Haft für 90-Jährige
Im Streit mit ihrer Freundin greift eine 90-Jährige zum Kochtopf - die Freundin stirbt. Die Anklage sah Mord, die Verteidigung Körperverletzung mit tödlichem Ende. Nun gibt es ein Urteil.

Im Streit mit ihrer Freundin greift eine 90-Jährige zum Kochtopf – die Freundin stirbt. Die Anklage sah Mord, die Verteidigung Körperverletzung mit tödlichem Ende. Nun gibt es ein Urteil.

Immer wieder schüttelt die hochbetagte Seniorin auf der Anklagebank den Kopf. „Nein“ und „unfassbar“ murmelt die 90-jährige, während die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl das Urteil verkündet: Acht Jahre und drei Monate Haft wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung

Laut Landgericht München I hatte die Seniorin vor einem Jahr ihre engste 77 Jahre alte Freundin im Streit um das Aufräumen von Einkäufen unter anderem mit einem Kochtopf geschlagen und tödlich verletzt. Die Frau sitzt seit der Tat im vergangenen Sommer in Untersuchungshaft – die nun vorerst fortbesteht.

Ungewöhnliches Verfahren 

Die Richterin sprach von einem ungewöhnlichen Verfahren – auch wegen des hohen Alters der Angeklagten. Die beiden Frauen habe über 40 Jahre eine Freundschaft verbunden, die allerdings zunehmend ungleich war. Die Angeklagte habe sich ihrer Freundin geistig überlegen gefühlt, während sie zugleich ihre Hilfe brauchte. 

Bereits mehrfach vor der tödlichen Tat habe die Angeklagte ihre Freundin nicht nur verbal, sondern zunehmend auch körperlich traktiert – was die Freundin jedoch hingenommen habe, sagte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Ob mehrere Verletzungen, die bei der Obduktion festgestellt wurden, von derartigen Übergriffen stammten oder von Stürzen, sei nicht genau feststellbar und auch nicht Gegenstand des Verfahrens.

Sommerabend mit Eisdielenbesuch 

Die Freundinnen, die sonst kaum Kontakte hatten, sahen sich fast täglich. Die Jüngere, wenngleich selbst schon körperlich eingeschränkt, unterstützte die Ältere etwa beim Einkaufen. So auch an jenem Tag Mitte Juli 2024. Die beiden gingen wie so oft in den Supermarkt und besuchten danach eine Eisdiele, um gemütlich Eis zu essen. An der Wohnung der Älteren half ein Nachbar, die Einkäufe in die Wohnung zu tragen.

Zum Streit kam es, weil die Jüngere sich nicht die Anweisung der Älteren hielt, nicht in die sehr kleine Küche zu gehen, um das eingekaufte Eis aufzuräumen. Schon hier habe die 90-Jährige ihre Freundin geschlagen. 

Griff zum Kochtopf

Schon beeinträchtigt durch die Schläge habe die 77-Jährige später versehentlich in der Küche mehrere Dinge, darunter einen Wasserkocher, zu Boden gestoßen, zudem lief Wasser über den Herd. Das habe die damals 89-Jährige so in Rage gebracht, dass sie die Jüngere anging und, als diese sie zurückstieß, mit dem Kochtopf zuschlug. 

Es gebe ein „auffälliges Missverhältnis zwischen Anlass und Tat“, sagte die Richterin. Schließlich habe es sich bei der Freundin um ein „aus Unachtsamkeit begangenes versehentliches Mitgeschick“ gehandelt. 

Als die Freundin nach den Schlägen mit dem Kochtopf schrie, habe die Ältere sie zurechtgewiesen, weil es mittlerweile spät in der Nacht war und schließlich noch andere Leute im Hause wohnten. 

Rosen für die Tote 

Kalt ließ der Tod der Freundin sie offensichtlich nicht: Als sie feststellte, dass diese nicht mehr lebte, habe sie ihr eine Rose auf die Brust gelegt. Als diese verwelkt war, habe sie die Tote mit einem mit Rosen bedruckten Tuch bedeckt, erläuterte die Richterin. 

Tage später rief die Seniorin – nachdem eine Bekannte ihr zugeraten hatte – die Polizei. Bei den Beamten gab sie an, es habe einen Streit gegeben, in deren Verlauf sie zu dem Topf gegriffen habe, nun sei die Freundin tot. 

Die Verteidigung hatte stets moniert, dass ihre Mandantin in der nächtlichen Vernehmung nicht korrekt belehrt worden sei. Deshalb sei die Vernehmung nicht verwertbar. 

„Vitale Frau“

Auch wenn die Angeklagte im Rollstuhl ins Gericht geschoben wurde, dürfe das nicht über ihren für ihr Alter sehr rüstigen Zustand hinwegtäuschen, sagte die Richterin Ehrl. In der Justizvollzugsanstalt könne sie selbst teils ohne Rollator gehen, geistig sei sie fit – eine „vitale Frau“. „Allein ihr fortgeschrittenes Alter entbindet Sie nicht von ihrer Verantwortung für die Tat“, wandte sie sich an die Angeklagte. 

Zu Gunsten der Seniorin wertete die Richterin, dass diese selbst die Polizei gerufen hatte und bisher unbescholten war. Andererseits habe sie im Prozess geschwiegen. Das sei ihr gutes Recht. Aber ein Bedauern über die Tat und die Übernahme der Verantwortung – das seien „Dinge, die sich positiv auswirken“ könnten. Die Anwälte Annette von Stetten und Johannes Makepeace äußerten Unverständnis über diese Aussage und warfen der Richterin vor, damit das verbriefte Schweigerecht der Angeklagten nicht ernst zu nehmen.

Letztes Wort nicht gesprochen – Revision möglich

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Von Stetten und Makepeace kündigten an, wahrscheinlich in Revision zu gehen. Dies sei aber mit der Mandantin zu besprechen. Bei der Staatsanwaltschaft hieß es, man werde Rechtsmittel prüfen. Die Anklage hatte lebenslange Haft wegen Mordes verlangt, die Verteidigung eine Bewährungsstrafe wegen minder schwerer Körperverletzung mit Todesfolge.

Wieder frei mit 95?

Wenn es bei dem Urteil bliebe, müsste die 90-Jährige nach Einschätzung der Anwältin von Stetten wahrscheinlich noch etwa viereinhalb Jahre absitzen. Dann wäre sie 95 Jahre alt. Die Richterin sah es so: Die Angeklagte habe angesichts ihrer guten Konstitution „eine realistische Chance die Freiheit wieder zu erlangen.“