19. Juli 2025
Pharma: Boehringer-Deutschlandchef: Alarmglocken wurden gehört
Der Pharmastandort Deutschland bekommt Druck von mehreren Seiten, sagt Schoenmaeckers. Auch bei Boehringer Ingelheim gebe es keine Garantie, dass immer alle Investitionen in deutsche Standorte gehen.

Der Pharmastandort Deutschland bekommt Druck von mehreren Seiten, sagt Schoenmaeckers. Auch bei Boehringer Ingelheim gebe es keine Garantie, dass immer alle Investitionen in deutsche Standorte gehen.

Der neue Boehringer-Deutschlandchef wünscht sich in Deutschland beschleunigte Zulassungsverfahren für pharmazeutische Produkte ähnlich wie in den USA. „Es braucht Systeme, die viel mehr auf Evidenz basieren und damit auch schnellere Verfahren erlauben“, sagte Médard Schoenmaeckers der Deutschen Presse-Agentur. Der Marktzugang müsse in Deutschland agiler werden. 

Auch innerhalb Europas habe Deutschland Boden verloren, etwa gegenüber Frankreich und Spanien, wo schnellere klinische Studien und Genehmigungen möglich seien. Sei Deutschland vor zehn Jahren bei klinischen Studien noch die Nummer zwei der Welt hinter den USA gewesen, sei es jetzt nur noch Siebter. 

Von Aufholbedarf und Chancen 

„Es gibt Aufholbedarf“, betonte der Niederländer, der zum 1. April Vorsitzender der Geschäftsführung der Boehringer Ingelheim Deutschland GmbH und damit Nachfolger von Fridtjof Traulsen geworden ist. Einst war Schoenmaeckers im Investmentbanking aktiv, vor seinem Wechsel an die Spitze des Deutschlandgeschäfts leitete er bei Boehringer die Corporate-Affairs-Division, die sich um Kommunikation, Politik und die Unternehmensmarke kümmert. 

Wünschen würde er sich europaweit einheitliche Standards. Wie groß der Unterschied zwischen den USA und Deutschland sein könne, zeige das Beispiel eines Boehringer-Präparats zur Behandlung von Lungenkrebs. Dazu laufe in den Vereinigten Staaten ein Fast-Track-Verfahren, eine beschleunigte Zulassung. 

China längst nicht mehr nur Land für Nachahmerprodukte

„So einen Prozess gibt es in Deutschland nicht“, sagte Schoenmaeckers. „Wir erwarten jede Woche, dass wir eine Genehmigung in den USA bekommen.“ In Deutschland werde es noch drei Jahre dauern. „Es ist schwierig, Patienten das zu erklären, Patienten, die diese Zeit nicht haben.“ 

Druck auf Europa und Deutschland gebe es von gleich zwei Seiten – aus den USA wegen der Zolldebatten und aus China, weil das Land längst nicht mehr nur eines für Pharma-Nachahmerprodukte sei. „Ich denke, es ist eine Frage der Zeit, bis China nicht mehr nur für den chinesischen oder asiatische Märkte produziert, sondern auch darüber hinaus verkaufen möchte.“

„Müssen wettbewerbsfähiger werden“

Eine Studie im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen hatte kürzlich betont, dass eine Eskalation des Zollkonflikts mit den USA deutliche negative Folgen für die deutsche Wirtschaft und bestimmte Branchen hätte. Bei einem „Zollkrieg“ würden insbesondere die Pharma-, die Automobil- und die Maschinenbauindustrie überdurchschnittlich stark verlieren, hieß es. 

„Wir müssen wettbewerbsfähiger werden auf Deutschland- und auf Europaebene“, mahnte Schoenmaeckers. Er habe den Eindruck, dass in Europa und von der Bundesregierung die Alarmglocken gehört wurden. „Jetzt müssen wir noch verstehen, wie wir aus dem Bett kommen.“

Schoenmaeckers: Arzneimittel nicht nur als Kostenstelle sehen

Kritisch sieht Schoenmaeckers in Deutschland auch diverse Rabatte oder Abschläge, die Pharmaunternehmen in Deutschland gewähren müssen. Als Beispiel nannte er den Herstellerabschlag für erstattungsfähige Arzneimittel. „Es hat verschiedene Maßnahmen gegeben, womit man die Preise der Pharmaindustrie immer weiter gesenkt hat, auch um das gesamte Gesundheitssystem finanzieren zu können.“ Das passe aber nicht dazu, dass Deutschland und Europa zum innovativsten Pharmamarkt werden wollten. 

„Pharma und Arzneimittel dürfen nicht nur als Kostenstellen gesehen werden, man muss den Wert von Arzneimitteln sehen“, sagte Schoenmaeckers. Viele Medikamente hätten eine präventive Wirkung, könnten Kosten für spätere Behandlungen senken oder dazu beitragen, dass Menschen gar nicht erst krank werden. „Das bringt die Krankenhaustage runter, da geht es um die wirklich hohen Kosten.“ Menschen könnten länger im Arbeitsprozess bleiben oder schneller zurückkehren. „Es hat also auch einen wirtschaftlichen Wert.“ 

Deutsche Standorte in hartem Wettbewerb

Er sage das als Deutschlandchef auch mit Blick darauf, dass sich die deutschen Boehringer-Standorte Ingelheim und Biberach unternehmensintern im Wettbewerb mit anderen Standorten in anderen Ländern befinden. Sicher ließen sich solch große Standorte nicht einfach verlagern und Boehringer habe in beide bewusst in den vergangenen Jahren viel Geld investiert. 

„Das heißt aber nicht, dass das in den nächsten Jahren so weitergeht, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass jede Investition von Boehringer nach Deutschland fließt.“ Boehringer Ingelheim sei ein global aufgestelltes Unternehmen und müsse sich immer fragen, ob nicht auch vor Ort in anderen Märkten investiert werden müsse, zum Beispiel in den USA.