22. August 2025
Meinung: Warum eine Praxisgebühr Wahnsinn wäre
Deutsche Arbeitgeber fordern, dass ihre Mitarbeiter beim Arzt eine Praxisgebühr zahlen – zur Entlastung des Gesundheitssystems. Ein Vorstoß, der so unsozial wie irrsinnig ist.

Deutsche Arbeitgeber fordern, dass ihre Mitarbeiter beim Arzt eine Praxisgebühr zahlen – zur Entlastung des Gesundheitssystems. Ein Vorstoß, der so unsozial wie irrsinnig ist.

Manch Vorstoß zur Reform des Gesundheitssystems wirkt wie ein Griff in die Mottenkiste. Was Arbeitgeberverbandschef Steffen Kampeter nun vorgeschlagen hat, gehört zweifellos dazu. In einem Podcast plädierte er für eine neue Art der Praxisgebühr.

„Wir Arbeitgeber wollen, dass die Krankenversicherungsbeiträge endlich stabil werden. Das bedeutet aber, wir brauchen auch geringere Ausgaben“, argumentierte er. Heißt: Arbeitnehmer sollen indirekt mehr für ihre Krankenversicherung zahlen.

Das allein ist schon unsozial. Kampeter setzte aber noch einen drauf. Er stellt sich eine Kontaktgebühr vor, die anders als die frühere Praxisgebühr bei jedem Arzttermin anfallen würde. Ein Wahnsinn für deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Praxisgebühr wirkt nicht

Kampeters Vorstoß ist doppelt absurd. Denn als es die Praxisgebühr von 2004 bis 2012 zum ersten Mal gab, zeigte sich: Sie wirkt nicht.

Die Zuzahlung entfaltete weder die erhoffte Steuerungswirkung, noch stabilisierte sie das deutsche Gesundheitssystem. Stattdessen blieb vor allem eines hängen: Bürokratie, Ungerechtigkeit und Frust.

Wer medizinische Hilfe brauchte, suchte sie trotz Gebühr – wer ohnehin selten zum Arzt ging, änderte sein Verhalten nicht. Die einzige „Steuerung“ bestand darin, dass das Praxispersonal seine Zeit mit Kassieren statt mit Patientenberatung verbrachte.

Belastung für chronisch Kranke und sozial Schwache

Besonders problematisch ist, dass eine Kontaktgebühr die Falschen trifft: chronisch Kranke. Sie zahlen am meisten, weil sie regelmäßig zum Arzt müssen.

Eine Gebühr wirkt für sie nicht als Steuerung, sondern als zusätzliche Belastung. Sie bestraft gerade die, die ohnehin schon gesundheitlich geschwächt oder finanziell benachteiligt sind.

Eine Kontaktgebühr würde notwendige Arztbesuche verzögern, Diagnosen und Therapien verschleppen und am Ende höhere Folgekosten für das gesamte System verursachen. Menschen mit wenig Geld könnten auf Vorsorge- und Kontrolltermine verzichten – mit potenziell fatalen gesundheitlichen Folgen.

Niemand will sie

Zum Glück scheint Lobbyist Kampeter mit seinen kruden Ideen allein. Kritik kommt von Patientenvertretern, Hausärzten, Sozialverbänden und Gewerkschaften. Sie warnen: Chronisch Kranke müssten die Gebühr dann dutzende Male im Jahr bezahlen. „Das würde insbesondere sozial Schwache finanziell komplett überfordern“, warnte die Chefin des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes.  

Statt also wieder einen Rückschritt in das Kapitel gescheiterter Symbolpolitik zu tun, sollte die Politik endlich die strukturellen Finanzierungsprobleme des Gesundheitssystems angehen: faire Beitragsverteilung, bessere Honorierung von Haus- und Fachärzten, Abbau von Fehlanreizen in der Versorgung. Das sind die Stellschrauben, die wirksam sind – nicht die Einführung eines bürokratischen Placebos.

Die Praxisgebühr hat einst bewiesen, dass sie teuer, ineffizient und unsozial ist. Ihre Wiedereinführung wäre mehr als ein politischer Irrweg – sie wäre ein Schlag ins Gesicht der Patienten.