21. September 2025
Paläontologie: Steinzeit-Cousin: Auf der Suche nach dem mysteriösen Denisova-Menschen
Wer war der geheimnisvolle Denisova-Mensch? In zwei entlegenen Höhlen in Asien suchen Paläontologen nach seinen Spuren. Der Fotograf Justin Jin hat sie begleitet.

Wer war der geheimnisvolle Denisova-Mensch? In zwei entlegenen Höhlen in Asien suchen Paläontologen nach seinen Spuren. Der Fotograf Justin Jin hat sie begleitet.

Die Geschichte der Menschwerdung ist kein fertig gezeichnetes Bilderbuch mit einem klaren Anfang und Ende. Vielmehr gleicht sie einem gigantischen Puzzle, von dem die meisten Teile jedoch fehlen und für das es keine Vorlage gibt, nach der man es zusammensetzen könnte. Dann wieder tauchen unbekannte Stücke auf, die nicht in das bisherige Bild der Menschenfamilie passen – so geschehen vor 18 Jahren. 

Damals untersuchten Forscher die DNA menschlicher Fossilien, die aus einer russischen Höhle stammten. Dabei machten sie eine erstaunliche Entdeckung: Die winzigen Fingerknochen und mehrere Zähne gehörten zu einer bis dato unbekannten Menschenart. Die Forscher nannten sie „Denisova-Mensch“, nach dem Namen der Höhle, in der die Relikte gefunden wurden.

Der Fingerknochen war zwischen 30.000 und 48.000 Jahre alt. Damit hätte sein Träger etwa zeitgleich mit den letzten Neandertalern in Eurasien und dem anatomisch modernen Menschen, dem Homo sapiens, gelebt. Die Funde aus der Denisova-Höhle blieben zunächst ein Schnappschuss. Wie weit der neue Menschentypus tatsächlich verbreitet war und über welchen Zeitraum er existierte, sollten weitere Funde zeigen.

Steinzeit: Im Hochgebirge suchen Forscher nach der neuen Menschenart

Einer stammte aus der Baishiya-Karsthöhle im Hochland von Tibet, 3280 Meter über dem Meeresspiegel. Bereits vor Jahrzehnten hatte dort ein Mönch beim Meditieren den versteinerten Unterkiefer eines Menschen entdeckt. Das Sediment, in dem der Knochen vermutlich steckte, war rund 160.000 Jahre alt. 

Eine verwertbare DNA existierte in dem uralten Knochen nicht mehr, aber der niederländische Paläontologe Frido Welker hatte eine andere Methode entwickelt, um menschliche Fossilien miteinander zu vergleichen. Er fand in dem Kiefer aus Tibet Proteinbruchstücke, die zu denen des Denisova-Menschen aus Russland passten.

Auch an anderer, weit entfernter Stelle erschien der Denisova-Mensch plötzlich auf der Bildfläche. Grabungen in Laos förderten den Zahn eines jugendlichen Mädchens zutage, das vor 131.000 bis 164.000 Jahren vermutlich ebenfalls zum Denisova-Clan gehörte.

Der chinesische Fotograf Justin Jin durfte die bedeutenden Fundstätten besuchen. Er dokumentierte, wie sich Paläontologen und Geologen durch enge Gänge und winzige Spalten zwängen, wie sie sich durch Zehntausende Jahre alte Ablagerungen in Höhlen graben, um das große Menschheits-Puzzle zu ergänzen.

Langsam wird dabei immer klarer: Die Denisova-Menschen waren keine kurze und räumlich eng begrenzte Erscheinung in der Evolution, sondern ein weit verbreitetes Erfolgsmodell. Sie existierten über einen Zeitraum von mehr als hunderttausend Jahren und eroberten die unterschiedlichsten Lebensräume – vom kalten Sibirien über das Hochland von Tibet bis zu den Subtropen. 

„Sie müssen ihre Überlebensstrategien sehr erfolgreich angepasst haben“, sagt auch Welker, der an der Universität Kopenhagen zu Urmenschen forscht. „Das bedeutet, dass sie uns und den Neandertalern kognitiv ähnlich waren und Lösungen fanden, die in unterschiedlichen Umgebungen funktionierten.“

Weit verbreitetes Erfolgsmodell der Evolution 

Wie sie ihr Überleben sicherten, zeigen Funde aus der Baishiya-Karsthöhle. Forscher gruben dort mehr als 2500 bearbeitete Knochen von Tieren aus dem Boden, vom Wollnashorn unter anderem, von Murmeltieren und Blauschafen, einer Ziegenart, die heute noch im Hochland von Tibet vorkommt.

Dass die Denisova-Menschen ebenfalls im Hochgebirge gelebt hatten, lieferte die Erklärung für ein lange ungelöstes Rätsel: So hatte die spanische Populationsgenetikerin Emilia Huerta-Sánchez herausgefunden, dass die heutigen Bewohner des tibetischen Hochlandes ein Gen namens EPAS1 in sich tragen, das auch im Genom der Frühmenschen aus der Denisova-Höhle zu finden war.

Doch wie sahen die rätselhaften Denisova-Menschen aus? Um ihnen – im Wortsinn – ein Gesicht zu geben, bedurfte es nicht mal eines neuen Fundes, nein, das entscheidende Fossil war längst bekannt: 2018 war in Harbin im Nordosten Chinas der 160.000 Jahre alte Schädel eines sehr urtümlichen Menschen aufgetaucht. Aufgrund seiner prominenten Augenbrauenwülste bekam er den Spitznamen Drachenmensch. 

Drei Jahre später erschien die erste wissenschaftliche Veröffentlichung über ihn. Darin wurde er einer neuen Art zugerechnet, dem Homo longi. 2025 dann die Sensation: Chinesische Wissenschaftler entdeckten in dem Schädelknochen drei Proteine, die typisch für den Denisova-Menschen sind. Nun ließ sich ein Abbild des Frühmenschen anfertigen.

Für Forscher Frido Welker keine Überraschung: „Wahrscheinlich wurden Denisova-Fossilien bereits seit vielen Jahrzehnten gefunden und befinden sich in archäologischen Sammlungen. Auf der Suche nach weiteren Angehörigen der Denisova-Familien lohnt sich vermutlich auch der Blick in die Schubladen von Museen.“