4. November 2025
Von Wein bis Regenwetter: Wein, Stahl und Regen: Die überraschenden Folgen von Atomwaffentests
Mehr als 2000 Atombomben wurden über die Jahrzehnte zu Testzwecken gezündet – verheerend für Menschen, Umwelt und Klima. Doch einige Folgen sind unerwartet und wenig bekannt.

Mehr als 2000 Atombomben wurden über die Jahrzehnte zu Testzwecken gezündet – verheerend für Menschen, Umwelt und Klima. Doch einige Folgen sind unerwartet und wenig bekannt.

Hunderttausende Dollar sind manche Sammler bereit für alte Weine zu zahlen. Ein lukratives Geschäft, das naturgemäß Fälscher anlockt. Wie können die Sammler also sicher sein, dass sie keiner Fälschung aufsitzen?

Eine Möglichkeit eröffneten ausgerechnet die Atomwaffentests, die ab 1945 stattfanden. Die damals freigesetzten Radionuklide werden noch heute von Trauben aufgenommen. Unter anderem am Gehalt von Cäsium-137 lässt sich bestimmen, ob ein Wein vor oder nach 1945 hergestellt wurde. Auf diese Weise ließen sich schon mehrere Weinfälschungen nachweisen, bei denen jüngerer Wein kunstvoll umetikettiert worden war.

Fast zärtlich deckt Ed Addington die Schaufensterpuppe zu. Kurze Zeit später wird eine Atombombe die Alltagsszenerie zerstören, um die Wirkmacht der Bombe zu illustrieren
© Bettmann

Von Wein und Elfenbein

Das Beispiel zeigt nur eine von vielen kuriosen Folgen von mehr als 2000 Atomwaffentests weltweit. Ihr Fallout markiert noch in Jahrtausenden in Erdschichten jenen Moment, an dem der Mensch lernte, Atome zu spalten. Einige Forschende plädieren daher dafür, die Atomwaffentest rund um das Jahr 1950 für den Beginn des Anthropozäns zu erklären, jenes Erdzeitalters, in dem die Menschheit die Erde maßgeblich prägt.

Für die Forschung ist dieser Fallout Segen und Fluch zugleich. Einerseits verfälscht das freigesetzte Kohlenstoffisotop C-14 massiv die Radiokarbonmethode, was die korrekte Altersbestimmung historischer organischer Materialien erschwert. Andererseits helfen die freigesetzten Radionuklide, moderne Objekte zeitlich einzuordnen. Nicht nur Wein, auch Elfenbein, bei dem das Handeln mit altem Material noch in Grenzen erlaubt ist.

Radioaktiver Stahl

In Stahl, der ab den 1940ern produziert wurde, finden sich unter anderem erhöhte Mengen von Cobalt-60. Da bei der Herstellung meist alter Stahl recycelt wird, ist die Strahlenbelastung auch von heutigem Stahl leicht erhöht, allerdings nicht in gesundsgefährdendem Maß. Doch seine Hintergrundstrahlung, also die unentwegte Abgabe kleinster Mengen radioaktiver Strahlung, bereitet Probleme bei manchen medizinischen Geräten sowie bei hochpräzisen wissenschaftlichen Messungen. 

Allzu leichtfertig gehen die Atommächte zu Beginn mit ihren Waffentests um, wie hier US-Soldaten 1951
© Courtesy Everett Collection

Forschende nutzen daher bevorzugt „Low-background steel“, der vor den ersten Atomwaffentests entstand. Fündig werden sie bei gesunkenen Schiffen, etwa der deutsche Hochseeflotte aus dem Ersten Weltkrieg. Allerdings ist umstritten, inwiefern solche historischen Fundorte, die zugleich als Kriegsgrabstätten dienen, als Materiallager genutzt werden dürfen. 

Besonders weit in die Geschichte griffen Forschende der Gran-Sasso-Labore zurück: Um den Neutrino-Detektor „Cuore“ abzuschirmen, nutzten sie Blei, das sie einem vor 2000 Jahren gesunkenen römischen Schiff entnahmen.

Mehr Regen

Nach den amerikanischen Bombentests ging Tausende Kilometer entfernt in Schottland etwas nieder. Zum Glück war es kein Fallout, sondern: Regen. Zwischen 1962 und 1964 waren Wolken in Schottland nach Tagen von Bombentests messbar dicker, im Durchschnitt fiel 24 Prozent mehr Niederschlag. Ionisierende Strahlung hatte die Leitfähigkeit der Luft erhöht, dies wiederum beeinflusste, wie sich über dem Atlantik Wassertröpfchen in Wolken verwandelten. 

Der erste Quasikristall

1982 schuf der Physiker Daniel Shechtman in seinem Labor einen Kristall, den es eigentlich nicht geben dürfte. Die „Quasikristall“ getauften Materialien besitzen keine periodische Struktur, dafür aber außergewöhnliche elektrische und magnetische Eigenschaften. Der Fund revolutionierte das Verständnis der Kristallografie und brachte Shechtman 2011 den Chemie-Nobelpreis ein.

Später zeigte sich, dass die Menschheit unbewusst schon zuvor Quasikristalle erschaffen hatte. Denn als am 16. Juli 1945 beim Trinity-Atombombentest in New Mexico die erste Atombombe zündete, zwang der extreme Schock aus Temperatur und Druck den Wüstensand in eine ikosaedrische Struktur. 2021 fand man diese ältesten bekannten von Menschen geschaffenen Quasikristalle. 

Auch an andere Orten, an denen Atombomben zündeten, wurden ungewöhnliche Materialien gefunden, etwa die Hiroshimaite in Hiroshima. Sie sind bei Sammlern begehrt, auch wenn das Bergen mancher solcher Materialien verboten ist.