
Es gibt doch keinen weiteren Nachlass auf die Stromsteuer. Kanzler und Finanzminister sparen Geld, verspielen aber Kredit. Und bei Merz fragt man sich: Was will er eigentlich?
Fünf Stunden haben die Koalitionsspitzen am Mittwochabend verhandelt. Fünf Stunden, an deren Ende sie mit demselben Ergebnis herauskamen, mit dem sie reingegangen waren: Die Stromsteuer wird gesenkt, aber nur für einige und nicht für alle, wie es im Koalitionsvertrag angekündigt wurde. Friedrich Merz, Lars Klingbeil und der Rest der Truppe haben sich im Kreis gedreht. Das ist kein gutes Zeichen.
Merz, Klingbeil und der Rest: das große Schweigen danach
Und noch etwas deutet auf sich verfestigende miese Laune im schwarz-roten Bündnis hin: Anders als nach dem ersten Koalitionsausschuss, als sich der Kanzler und die Parteichefs noch ausgiebig feierten, wollte diesmal niemand vor die Presse treten. Nix wie weg, hieß die Devise. Leere Hände waren den Koalitionären peinlich genug, da wollten sie nicht auch noch hohle Phrasen dreschen.
Stattdessen verschickte man ein Ergebnispapier, das so kurz und nichtssagend war, dass man das Wort Ergebnis auch hätte streichen können: Die Stromsteuer wird erst gesenkt, wenn wieder Geld da ist. Ende der Durchsage. Und wann könnte das sein? Steht nicht drin.
Der Befund nach diesem Koalitionsausschuss ist offenkundig: Die schwarz-rote Regierung steckt in ihrer ersten Krise. Noch nicht dramatisch, aber doch so, dass es kein leichtes Entkommen gibt, keine Lösung, bei der sich hinterher – und das ist sehr wichtig für das, nun ja, Seelenleben einer Koalition – alle irgendwie zu Siegern erklären können. Im Gegenteil.
Während draußen die Abendkühle auf Berlin herniedersank, dürfte vor allem manchem Unionisten die Hitze in den Kopf gestiegen sein. Carsten Linnemann, Jens Spahn und zuletzt Markus Söder sind die größten Verlierer dieses Abends. Hatten sie nicht alle gefordert, die Stromsteuer müsse auch für Otto und Ottilie Normalverbraucher gesenkt werden? Sie hatten sich damit nicht nur gegen Finanzminister Lars Klingbeil von der SPD gestellt, sondern auch gegen den eigenen Kanzler, der Klingbeils Vorgehen abgesegnet hatte.
Die drei größten Verlierer heißen Söder, Spahn und Linnemann
Alle drei, der Fraktionschef, sein Vize und CDU-Generalsekretär, sowie der CSU-Vorsitzende, stehen nun vor einer pikanten Frage: Sollen sie in den parlamentarischen Haushaltsberatungen den Ärger der Unions-Abgeordneten anschwellen lassen und so den Kanzler weiter unter Druck setzen – oder fallen sie sich selbst in den Rücken, blasen den Aufstand ab und mimen mit der Faust in der Tasche Loyalität zu Merz?
Wenn die drei Unions-Kämpen verloren haben, haben dann Merz und Klingbeil nicht logischerweise gewonnen? Ja und Nein. Richtig ist, dass vor allem Klingbeil seine Position gehalten hat, wonach auch in diesem Haushalt gespart werden müsse, gelockerte Schuldenbremse hin, milliardenschwere Investitionsprogramme her. Friedrich Merz hat da im Ergebnis zu ihm gehalten, ob aus Überzeugung oder nur, um den angeschlagenen Mister 65 Prozent an der SPD-Spitze nicht weiter zu beschädigen, weiß man noch nicht.
Ist Merz die Stromsteuer einfach egal?
Genau das ist aber Merz‘ Problem. Denn der Kanzler ist ja im herkömmlichen Verständnis – und ganz bestimmt auch in seinem eigenen – derjenige, der führt. Kein Klempner der Macht, wie er Olaf Scholz bezeichnet hat, sondern einer, der die Richtung vorgibt. Das würde bedeuten, er weiß, was er will – und man weiß es auch von ihm. Doch bei der Senkung der Stromsteuer hat Merz erst schlecht kommuniziert, sodass schon mal seine Partei nicht wusste, was er wollte. Dann signalisierte er erst Wohlwollen für eine zusätzliche Senkung, nur um einen Tag später zu patzen, die Regierung werde historisch eines Tages nicht danach beurteilt, ob sie die Stromsteuer gesenkt habe oder nicht. Es klang ein bisschen nach seinem neuen Freund Donald Trump: Heute so, morgen so. Oder noch schlimmer: Es sah aus, als sei es ihm eigentlich egal.
Ok, also ist Lars Klingbeil der strahlende Sieger? Position durchgesetzt, Stärke bewiesen, Parteitag vergessen? Leider auch nicht wirklich. Denn der Finanzminister und SPD-Vorsitzende erscheint mehr und mehr wie ein Mann, der in zwei Welten lebt: eine, die er verheißt, eine andere, mit Namen Wirklichkeit. Schon beim Mindestlohn sind die Tarifpartner deutlich hinter dem zurückgeblieben, was Klingbeil in Aussicht gestellt hatte. Jetzt gilt dasselbe für die Koalition und die Stromsteuer. Der Finanzminister kann darauf verweisen, den Koalitionsvertrag unter Finanzierungsvorbehalt gestellt zu haben. Aber wie lange kann er es politisch durchhalten, gerade der potenziellen SPD-Klientel mehr Geld im Portemonnaie in Aussicht zu stellen und dann nicht in vollem Umfang zu liefern?
Klingbeils nächstes Problem bahnt sich schon an. Beim Bürgergeld, wo der Finanzminister in zwei Jahren 4,5 Milliarden Euro einsparen will, hat sein eigener Stellvertreter im Parteivorsitz, der Genosse Alexander Schweitzer, bereits von einer Utopie gesprochen. Könnte daran liegen, dass Schweitzer als langjähriger Minister und jetzt Regierungschef in Rheinland-Pfalz Klingbeil und auch dem wankelmütigen Kanzler etwas voraus hat: Regierungserfahrung.