6. Juni 2025
"Missbrauch wirksam bekämpfen": Bärbel Bas schlägt Alarm wegen Sozialbetrug – hat sie recht?
Arbeitsministerin Bärbel Bas sprach im stern-Interview von "mafiösen Strukturen" beim Sozialleistungsbetrug. Zwei Experten ordnen ihre Aussagen ein.

Arbeitsministerin Bärbel Bas sprach im stern-Interview von „mafiösen Strukturen“ beim Sozialleistungsbetrug. Zwei Experten ordnen ihre Aussagen ein.

Die neue Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas sprach im stern-Interview über ihren Kampf gegen Schwarzarbeit und Sozialbetrug. Hier gebe es ausbeuterische Strukturen, die Menschen aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland lockten. Die Kriminellen ließen diese Menschen schwarz für sich arbeiten und gleichzeitig Bürgergeld beantragen. „Das sind mafiöse Strukturen, die wir zerschlagen müssen“, so Bas.

Die Ministerin nannte ihre Heimatstadt als Beispiel. „Bei mir in Duisburg gibt es in manchen Gegenden Sozialleistungsmissbrauch.“ Im Stadtteil Hochheide stehen dort die „Weißen Riesen“, vier Hochhäuser, wo besonders viel Sozialbetrug passiert. Der stern hat mit zwei Experten gesprochen, die Bas‘ Aussagen einordnen.

„Bärbel Bas hat völlig recht“

„Bärbel Bas hat völlig recht“, sagt Gerhard Bosch, emeritierter Professor der Universität Duisburg-Essen und Experte für Schwarzarbeit. „In bestimmten Duisburger Stadtteilen, also in bestimmten Gebäuden und Straßen, findet ein riesiger Sozialversicherungsbetrug statt.“ Es würde zum Beispiel Kindergeld abgerechnet für Kinder, die unter Umständen gar nicht existieren.

Auch in Bezug auf Schwarzarbeit stimmt der Experte der Arbeitsministerin zu. „Früher hatten wir die sogenannte kleine Schwarzarbeit. Also Arbeit ohne Rechnung am Wochenende auf dem Bau, beim Nachbarn, im Dorf. Diese Form ist in den Hintergrund gerückt und ersetzt worden durch organisierte Formen von Kriminalität. Also richtige, systematische Betrugskartelle. Und das sind tatsächlich mafiöse Strukturen.“

Das Bargeld zur Bezahlung der Schwarzarbeit werde über Scheinrechnungen generiert. „Die Firmen bekommen Bargeld für nicht geleistete Tätigkeiten oder Materialien von anderen Kriminellen. Übergeben wird das teilweise im Köfferchen auf der Autobahnraststätte“, so Bosch.

Mit diesem Geld bezahle man die schwarzarbeitenden Bürgergeldbezieher. „Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit hat eine Liste mit 6000 Firmen, die diese Scheinrechnungen ausstellen. Jährlich werden so etwa 200.000 Schwarzarbeiter ermittelt.“

Informationsaustausch wichtiger Schritt beim Kampf gegen Sozialbetrug

„Es kann nicht der Sinn der EU-Freizügigkeit sein, dass Menschen aus Europa von Kriminellen nach Duisburg gelotst werden, um hier Sozialleistungen zu kassieren“, sagt Sicherheits- und Ordnungsdezernent Michael Rüscher dem stern.

In Bezug auf die Aussagen von Arbeitsministerin Bas sagt Rüscher, der für die Stabsstelle Sozialleistungsbetrug der Stadt Duisburg arbeitet, die auch Razzien in den „Weißen Riesen“ durchführt: „Dass es jetzt auf Bundesebene Pläne gibt, gegen diesen Missbrauch vorzugehen, begrüßen wir sehr.“

Würde es zum Beispiel gelingen, den Informationsaustausch zwischen den vielen beteiligten Behörden zu verbessern, wäre das ein wichtiger Schritt bei der Eindämmung von Sozialleistungsbetrug, so Rüscher.

Lage der Schwarzarbeit in Deutschland

Im Jahr 2024 arbeiteten mindestens 3,3 Millionen Menschen in Deutschland schwarz, die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen, wie zum Beispiel die Arbeitsgruppe Finanzkontrolle Schwarzarbeit feststellt. Ihre Schätzungen gehen von bis zu zehn Millionen Menschen aus, die in Schwarzarbeit tätig sind.

Der finanzielle Umfang der Schattenwirtschaft, zu der Schwarzarbeit maßgeblich beiträgt, wird für 2025 auf etwa 511 Milliarden Euro prognostiziert, das entspricht rund 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Besonders betroffen sind Branchen wie Bau, Gastronomie, Reinigung und Pflege, aber auch private Dienstleistungen wie Handwerksarbeiten ohne Rechnung sind verbreitet.

Schwarzarbeit schadet der Wirtschaft und dem Staat erheblich: Unternehmen verlieren laut Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft jährlich 300 Milliarden Euro Umsatz, dem Staat entgehen hohe Steuer- und Sozialabgabeneinnahmen.