
Fahrgäste eines ICE der Deutschen Bahn wurden in Nürnberg aus dem Zug geschmissen, weil der angeblich zu dreckig war. Wunderbare Idee. Und ausbaufähig – findet unser Autor.
Mein Auto ist ein Gebrauchsgegenstand. Ich gönne ihm zweimal im Jahr einen Besuch in der Waschstraße, Basispflege, damit ich mich mal wieder an die Grundfarbe des Wagens erinnern kann. Der Innenraum pappbechert, kaugummit, krümelt, bröselt, sandet und schmutzt währenddessen so vor sich hin. Ich habe mich daran gewöhnt. Alle haben sich daran gewöhnt. Nie würde ich auf die Idee kommen, mitten auf der A7 zwischen Hamburg und Hannover rechts ranzufahren und meine Familie mit den Worten „Das Auto ist einfach zu verdreckt“ auf dem Standstreifen zurückzulassen. Einfach, um mal ganz grundsätzlich ein Zeichen zu setzen.
So ähnlich war aber die „Argumentation“ des Zugpersonals, das am Dienstag verdutzte Fahrgäste im ICE von München nach Hamburg am Nürnberger Hauptbahnhof aussteigen ließ: Zug zu dreckig, Endstation. Wir wollen ein Zeichen setzen. Ernsthaft? Ernsthaft.
Ich frage mich: Hatte je jemand einen anderen Eindruck von deutschen Nah- und Fernverkehrszügen als „zu dreckig“? Hatte je einer das Gefühl, sich nach einer mehrstündigen Reise im ICE frisch und sauber zu fühlen? Ich benutze ein persönliches Sonderwort für das Körpergefühl und Hygieneempfinden bei der Nutzung der Deutschen Bahn: gnatzig. Fahre ich Zug, fühle ich mich gnatzig, schon nach wenigen Minuten. Gnatzig ist so ähnlich wie ranzig, nur doller. Ein bisschen ist gnatzig auch wie siffig, nur mit mehr Klebrigkeit, mit mehr undefinierbarer Anschmutzung und mit einem gewissen Muff. Oder Mief. Also Dreck.
ICE verdreckt? Beim Mitbewerber gibt es Mäuse!
Nie habe ich beim Betreten eines Bordbistros gedacht: „Hach, wie kuschelig!“ Und nie beim Betreten eines Zugklos: „Huch, jetzt ist mir mein Kaugummi runtergefallen. Ach, was soll’s! Hier kann man ja vom Boden essen.“ Freunde wiesen mich darauf hin, neulich bei einer Fahrt mit einem Mitbewerber der Deutschen Bahn im Großraumwagen mehreren Mäusen begegnet zu sein. Echten, lebenden Mäusen! Ekelig?
Das kann ich locker toppen: Ich erinnere mich an eine Reise in der Regionalbahn von München nach Murnau zur Oktoberfestzeit. Schon ein paar Jahre her. Der Zug war voll mit Vollen. Besoffene, endbreite, selig vor sich hin stierende Oberbayern auf jedem zweiten Platz. Die Toiletten waren verstopft und liefen über. Man watete im Zug – kein Witz – durch eine Mischung aus Bier und Bierstoffwechselprodukten. So roch es auch. Der Zug fuhr tapfer weiter. Das fand ich nett.
Zurück zum ICE-Personal: Hätte sich der resolute Trupp nicht einfach mit Einmalhandschuhen und Desinfektionsspray ins Dienstabteil verkriechen können? Wäre gegenüber den Fahrgästen irgendwie dienstleistungsmäßiger rübergekommen. Andererseits hatte die Entscheidung, den Zug zu räumen fast schon wieder was Heroisches. So was herrlich Deutsches: Halt! Obacht! Vorsicht! Mit uns nicht! Der Rubikon ist so was von überschritten! Alles hat ein Ende! Seht zu, wie ihr klarkommt! Wir sind dann mal weg!
Wir sollten der Deutschen Bahn dankbar sein und aus dem Vorfall alle lernen: Wird es uns zu schmutzig, machen wir einfach sofort Schluss. Beenden augenblicklich die Bundestagsdebatte, wenn die AfD ihre hellbraune Soße ausgießt. Schicken dem Vermieter die Kündigung wegen ungeputzter Wohnung. Geben die Kinder zur Adoption frei wegen generellem Saustall. Und setzen natürlich den Lebenspartner vor die Tür. Wegen schmutzigem Sex.