
Glatze und Springerstiefel waren gestern, heute gibt es Instagram-Videos und Gaming-Plattformen. Die rechtsextreme Szene wird immer jünger und moderner. Wie groß ist die Gefahr im Netz?
Sie firmieren unter Namen wie „Unitas Germanica“, „Zollern-Jugend Aktiv“, „Störtrupp Süd“ oder „Pforzheim Revolte“: In Baden-Württemberg sprießen immer mehr jugendliche rechtsextremistische Gruppierungen aus dem Boden. Die Zusammenschlüsse können laut Verfassungsschutz großteils als neonazistisch eingestuft werden.
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen vernetzten und radikalisierten sich zunächst in sozialen Medien und träfen sich dann vermehrt auch im realen Leben. Diese Aktivitäten hätten seit Sommer 2024 deutlich zugenommen.
Warum ist Rechtsextremismus für junge Menschen so attraktiv?
Es gehe meist um Rebellion, sagt Rolf Frankenberger, wissenschaftlicher Geschäftsführer beim Institut für Rechtsextremismusforschung an der Universität Tübingen. „Ohne es verharmlosen zu wollen, aber wenn ich die Erwachsenen provozieren will, bin ich heute rechts“. Damit stellten sich Jugendliche klar gegen grüne und linke, aber auch konservative Weltanschauungen.
Zudem würden rechtsextreme Gruppierungen mit Narrativen wie Identität, Gemeinschaft, Zusammenhalt und Stärke werben. Junge Menschen seien immer auf der Suche. Und: Junge Männer seien dafür anfälliger als junge Frauen.
Auch die angespannte Weltlage spiele eine Rolle: „Krisen verunsichern“, sagt Frankenberger. Die soziale Schicht oder bestimmte Charaktereigenschaften seien mit Blick auf die Anfälligkeit für solche Ideologien gar nicht so wichtig. Viele Jugendliche seien vor ihrer Radikalisierung in Umfeld und Freundeskreis gut integriert gewesen.
Gegen wen kämpfen die rechtsextremen Gruppen?
Feindbilder sind etwa Menschen muslimischen Glaubens, Ausländer oder Menschen aus dem linken politischen Spektrum. Besonders der Kampf gegen die LGBTQ-Community sei „eine Art Türöffner“, um sich der rechtsextremistischen Szene zuzuwenden, schreibt Innenminister Thomas Strobl (CDU) in einer Antwort auf eine Anfrage der SPD-Fraktion. Immer wieder riefen sie zu Störaktionen und Gegendemonstrationen zu Veranstaltungen im Kontext des Christopher Street Day (CSD) auf.
Erst am Wochenende zeigten sich Anhänger auf den Straßen Pforzheims als Gegenveranstaltung zum CSD. Motto der Veranstalter vom „Störtrupp Süd“: „Für traditionelle Werte und gegen Frühsexualisierung unserer Kinder.“
Gibt es bestimmte Regionen in Baden-Württemberg, in denen der Zulauf besonders groß ist?
Die rechtsextremistischen Gruppierungen sind laut Verfassungsschutz in ganz Baden-Württemberg und zum Teil bundesweit aktiv. Es könnten keine bestimmten Regionen oder Landkreise hervorgehoben werden.
„Momentan sehen wir schon, dass es eher kein Phänomen der Städte, sondern mehr der Gebiete drumherum ist“, sagt Experte Frankenberger. Im ländlichen Raum würden rechtsextreme Gruppierungen immer sichtbarer werden. Besonders im Nordschwarzwald, auf der Schwäbischen Alb, im Gebiet des Schwäbischen Walds und in der Region Schwarzwald-Baar steige die Zahl an Gruppierungen an.
Wie treten die Gruppen in den sozialen Medien auf?
Männlich, kämpferisch und nationalistisch. Muskulöse, vermummte Typen filmen sich mit Drohnen, wie sie mit der deutschen Flagge auf Gebäuden posieren, sie nennen sich in den Kurzfilmen „Deutsche Jugend“, „Nationalist“ und „kampfbereit“. Sie zeigen sich – ebenfalls vermummt – beim gemeinschaftlichen Wandern durch den Wald und wie sie Sticker gegen „Volksfeinde“ an Masten anbringen. Sie zeigen Videoclips der Wehrmacht, unterlegt mit Techno-Musik, zu dem Slogan: „Für Kaiser, Gott und Vaterland“.
Klar ist: Online können Rechtsextremisten in kürzester Zeit Hunderttausende erreichen. Auf Gaming-Plattformen wie Twitch kursieren zunehmend rechtsextreme Inhalte. Der Verfassungsschutz ist sich sicher: Die Rechtsextremisten verfangen mit ihren Themen und Kommunikationsstrategien.
Die Gruppen teilen zudem untereinander Inhalte, um sich gegenseitig Reichweite zu verschaffen. Innenminister Strobl spricht auch von einem Schulterschluss von neuen und etablierten rechtsextremistischen Gruppierungen – wie den „Jungen Nationalisten“ (JN), der Jugendorganisation der rechtsextremistischen Partei „Die Heimat“.
Was machen die Gruppen im realen Leben?
Der Vernetzung im Internet folgen Aktivitäten im echten Leben. Die Gruppen laden zu gemeinsamen Wanderungen und zu Kampfsport ein. Im Februar 2025 fand etwa eine Fackelmahnwache in Pforzheim statt, an der sich mehrere Gruppen beteiligten, im März 2025 eine gemeinsame Wanderung in Nagold im Kreis Calw.
Veranstaltungen seien ein Schlüssel bei der Rekrutierung, sagt Forscher Frankenberger. „Das gibt dem Ganzen so einen Eventcharakter“. Auch über Musik ließen sich junge Menschen erreichen.
Rechtsextreme Gruppierungen würden dabei gezielt darauf setzen, die Jugendlichen von ihrem bisherigen Umfeld zu isolieren, sagt Frankenberger. Je tiefer man in die Szene eintauche, desto offener würden dann die eigentlichen Ansichten der Gruppierungen offengelegt. „Die kommen natürlich nicht gleich am Anfang mit Hakenkreuz und Remigration um die Ecke.“
Wie gefährlich sind diese neuen rechten Gruppen?
Die Sicherheitsbehörden schätzen das Gewaltpotenzial der jungen Rechtsextremisten als hoch ein. Ein Teil der Aktivisten betreibe Kampfsport, einige Gruppen veranstalteten regelmäßige Kampfsporttrainings.“Kampfsport wird dort unter anderem trainiert, um für körperliche Auseinandersetzungen und größere Gewalttaten gewappnet zu sein“, schreiben die Verfassungsschützer.
„So wird die Notwendigkeit von Kampfsport beispielsweise mit einer ständigen Gefahr körperlicher Angriffe durch gewaltorientierte Linksextremisten und durch Menschen mit Migrationshintergrund begründet“, hieß es weiter. Außerdem würden Gruppen auch an Veranstaltungen des politischen Gegners teilnehmen, um „hierdurch eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung zu demonstrieren“.
Was kann gegen den Rechtsruck man tun?
Forscher Frankenberger fordert eine Demokratieoffensive an Schulen. Eintägige Workshops zum Thema Demokratie reichten nicht aus, um die Jugendlichen abzuholen. Sie müssten verstehen, warum es so wichtig sei, die Demokratie zu bewahren.